Montag, 1. Mai 2017

Tag der Arbeit

Wie Dolmetscher und Übersetzer arbeiten, können Sie hier mitlesen. Ich schreibe im Dolmetschblog in loser Folge über die sich verändernde Arbeit. Meine Sprachen sind Französisch und Englisch.

Marius Liefold, verdolmetscht von der Kollegin
Neulich meinte wieder mal jemand in einem leicht gön­ner­haf­ten Tonfall, dass ich mich doch glücklich schätzen solle, so viel zu tun zu haben. Das mache ich auch, be­son­ders am Tag der Arbeit.

Er meinte indes, dass wir Dol­met­scher und Übersetzer in fünf bis zehn Jahren nichts mehr zu tun haben würden. Gar nichts mehr.

Mal unter uns: Das wüsste ich. Ich habe hier Bücher aus den 50er, 60er und 70er Jahren, in denen genau das akkurat von Wissenschaftlern angekündigt worden ist. Nämlicher Gesprächspartner von neulich meinte auch, es werde bald keine Ärzte mehr geben.

In der Tat haben wir neulich Gespräche zu einem Diagnosekoffer verdolmetscht, der die medizinische Lage in entlegenen Regionen verbessern soll. Das Ergebnis der An­am­ne­se­fra­gen und grundlegenden Testverfahren war dann: a) alles gut, b) kom­men Sie in einer Woche wieder, wir beobachten das, c) gehen Sie sofort zum Arzt.

Sagen wir's mal so: Die verbesserten Analyseverfahren und sogar OP-Roboterarme hel­fen sehr. Indes sind sie wieder "nur" ein Quantensprung in Diagnostik und Be­hand­lung. Ich muss an das hölzerne Stethoskop meines Großvaters denken, das dessen Nachfolger nicht über­nom­men hat, sonst wäre es in meinen Kin­der­ta­gen nicht in meinem selbst­ge­mach­ten Spielzeugarztkoffer gelandet.

Die Bits und Bytes sind einfach nicht kreativ genug. Sie können nur erfassen, was Ihnen mal irgendwie beigebracht wurde, sie sind nicht kreativ genug, ihnen fehlt die Lebenserfahrung und die Sicherheit in der Einschätzung ergänzender In­for­ma­tio­nen (die Vorgeschichte, ein aufgeschnappter Satz beim Mittagessen, die Kör­per­spra­che). Für jeden Einzelfall, jeden Dialekt, jeden Sprachfehler, un­voll­stän­di­gen Satz, Soziolekt oder eingeschlichenen fehlerhaften Ausdruck, den die Teilnehmer für die Dauer einer Konferenz so verwenden, müsste die große Maschine trainiert werden. Das lohnt nicht.

Das menschliche Hirn bleibt noch sehr lange flexibler, schneller, anpassungs- und situativ lernfähiger als die Maschine. Andere Berufe sehe ich da eher bedroht. Und wie war das mit den Bankern und den Goldjungen an der Wall Street? Seit die Com­pu­ter ihre (optimierten Millisekunden)Geschäfte über­nom­men haben, sind die auch nicht alle arbeitslos geworden. Wären sie mal bloß, die produzieren ja nichts.

Irritierend und diese Woche gesehen: Die ölverschmierte Jeanshose, aus denen der Dreck nicht mehr rausgeht. Hersteller ist eine berühmte Marke, das Beinkleid kos­tet um die 400 Euro. Sie symbolisiert eine Welt der Reichen, die nicht mehr mit­be­kom­men, dass der Basis die Arbeit ausgeht.

Zum Schluss noch etwas ganz Schönes: Die Utopien der Vergangenheit, das liebe Home office des Mannes betreffend (der dem Weibe beim Putzen zusieht). In­te­res­sant ist, dass sich Com­pu­ter­beige gut durchgesetzt hat. Und die Di­gi­tal­schrif­ten finde ich auch ziemlich überzeugend.



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Illustration: Walter Cronkite in the
Home Office of 2001 (1967) sowie
Medizininformatik an der TH Brandenburg

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